von Theo Schläger
De Bööschjaat
Bööschjaat (heute Teil der Buschstraße; in Karte blaue Linie, Anm. der Redaktion) war ein Straßenname in Katzem, die Straße am Ortsausgang nach Kleinbouslar und Ralshoven. Aber „Bööschjaat“ war mehr als ein Straßenname. Das war eine Institution, ein Prädikat. Mit dem Namen verband man automatisch etwas, das man erlebt, gesehen, gehört hatte.
Anders verhielt es sich mit dem Namen „Balkan“ für die jetzige Straße „Am Hügel“ (in Karte grüne Linie, Anm. der Redaktion). Sie bekam den Namen wegen der dauernden Streitereien zwischen einigen der dortigen Familien in Bezug zu den Balkanstaaten um Jugoslawien, wo es (wie heute immer noch) andauernd zu Querelen kam.
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Die Straße führte also nach Kleinbouslar und Ralshoven. Die Abzweigung nach Ralshoven, eine Kreuzung von zwei Wegen, hieß übrigens „Am decke Steen“ (Am dicken Stein). Da die Feldwege früher nicht befestigt waren, hätten sich die Spuren der Karrenräder so tief eingegraben, dass die Wege nicht mehr befahrbar gewesen wären. Auf den Feldwegen wurden Steine platziert, die immer wieder verlegt wurden, um die Spuren nicht zu tief werden zu lassen. Sie hießen darum „Schlingersteine“, da man sie immer im Slalom umfahren musste. An Kreuzungen waren sie besonders „dick“ wie hier am „Dicken Stein“.
Ich habe in der Straße die ersten 45 Jahre meines Lebens verbracht, bin da geboren und aufgewachsen, habe eine Familie gegründet und mit den Menschen da gelebt.
Platt als Muttersprache
Ich erinnere mich, dass wir als Kinder nur auf der Straße gespielt haben, also draußen. Gesprochen haben wir alle nur Platt. Wir haben keine andere Sprache gelernt, in dieser Sprache auch denken gelernt, Begriffe gespeichert, unsere kleine Welt damit erobert. Undenkbar, dass jemand Deutsch sprach. Der wäre „was Besseres“ gewesen und Außenseiter. Das wollte keiner sein. Außerdem duzten sich alle, Junge und Alte, und man sprach sich mit dem Vornamen an. Dass meine Eltern immer mit „Lieske“ und „Dei“ angesprochen wurden, fand ich ganz normal. Das war ja bei allen so. Ich sprach ja auch unsere Nachbarn mit „Jüpp“ und „Katrin“ an. „Sie“ lernte ich erst in der Schule, weil man die Lehrerin so ansprechen musste. Da lernte ich auch meine erste Fremdsprache, nämlich „Deutsch“.
Zweiter Weltkrieg
Die erste Besonderheit, die ich in der Bööschjaat“ kennenlernte, hing mit dem Krieg und den damit verbundenen Fliegerangriffen zusammen. Mein Vater hatte unseren Keller vorschriftsmäßig zu einem Luftschutzkeller ausgebaut. Unser Keller hatte nämlich als Voraussetzung (damals eher selten) eine Betondecke. Träger mit gemauertem Gewölbe dazwischen, das mit Beton und Eisen überspannt und aufgefüllt war. Zweite Voraussetzung war ein Notausgang, der zur Feldseite des Hauses gebrochen und als Notausstieg ausgebaut wurde. Dritte Voraussetzung: Kellertür, Notausgang und Fenster wurden mit dicken Gummidichtungen als Schutz gegen Gas und mit Spezialverschlüssen versehen. Vierte Voraussetzung war ein (gemauerter) Herd, auf dem bei länger andauernden Fliegerangriffen für die Kleinkinder die Flasche oder Brei gewärmt werden und zur Not auch Kartoffeln oder Würstchen gebraten oder Suppe gekocht werden konnte. Die Bööschjaat hatte also ihren eigenen privaten Luftschutzkeller. Bei Fliegeralarm strömte die ganze Nachbarschaft, Schutz suchend, zu uns in den Keller. Ich erinnere mich, dass bei Fliegeralarm häufig das Licht ausging und dann Kerzen angezündet wurden. Wurde es brenzlig, begann irgendwo jemand zu beten und alle stimmten ein.
Als die Evakuierung bevorstand, wurde es überall hektisch. Man durfte ja nur das Nötigste mitnehmen. Was aber sollte mit dem wertvollen Übrigen geschehen? Keiner wollte es einfach zurücklassen. Ein geschäftiges Treiben begann. Wertvolles Porzellan und sonstige Wertgegenstände wurden in Kisten und Körbe gepackt. Aber wohin damit? Da mein Vater wie die meisten Männer im Krieg war, kamen Nachbarinnen und hoben mit meiner Mutter Gruben im Garten aus. Da hinein wurden die Kisten verstaut, mit Brettern und sogar Zimmertüren abgedeckt und dann mit Erde wieder zugeschaufelt, so dass nur noch eine ganz natürliche Gartenfläche zu sehen war. Die Türen (Eichentüren) aus unserem Haus wurden nach dem Krieg übrigens abgewaschen und wieder eingehängt. Sie waren trotz der Fremdnutzung wieder in einem ordentlichen Zustand nutzbar (Qualität). Alle Hände, die da waren, halfen einander, ein typisches Merkmal der Bööschjaat. In die Evakuierung konnte meine Mutter nur einen Koffer und einen Rucksack und ich ein kleines Köfferchen und einen kleinen Rucksack mitnehmen.
Leben nach dem Krieg
Ein ähnliches Muster lief nach dem Krieg wieder ab und wie immer selbstverständlich und unspektakulär. Der Vorderteil unseres Hauses hatte einen Volltreffer bekommen und war völlig weg, obwohl, wie wir erfahren hatten, das Haus als provisorisches Lazarett gedient hatte und durch eine Rote-Kreuz-Fahne auf dem Dach kenntlich gemacht war. Man konnte von der Straße direkt in alle Räume hineingehen. Der Keller aber war unversehrt. Da haben wir ein halbes Jahr gewohnt. Wir hatten allerdings keine Einrichtung. Porzellan war da, aber kein Schrank, kein Tisch, kein Stuhl. Wie das alles zusammenkam, weiß ich nicht, aber dass auf einmal alles Nötige da war, einschließlich Eisenbetten für meine Eltern und für mich, das erinnere ich. Und das war in allen Häusern auf unserer Straße so. Woher das alles organisiert wurde, weiß ich nicht. Es war auf einmal einfach da.
Der gemauerte Herd im Keller leistete gute Dienste. Da mein Vater schwer kriegsbeschädigt war und körperliche Arbeit unmöglich, fanden sich immer wieder Nachbarn und Bekannte ein, räumten Schutt weg, besorgten Steine. Erste Gerüste und Werkzeuge wurden organisiert und das Baugeschäft meines Vaters begann wieder zu funktionieren, nachdem Arbeiter von vor dem Krieg wieder einstiegen. Ein funktionierendes Baugeschäft war ja in der Nachkriegszeit wichtiger denn je. Auch hatten wir immer zu essen. Alle sorgten für alle mit, so dass niemand hungern oder Not leiden musste. Es war eben eine echte Schicksalsgemeinschaft. Diese funktionierende Gemeinschaft, wo sich jeder selbstlos einbrachte, gibt es so wohl nicht mehr. Sie war aus der Not geboren und gelang, gab es aber auch schon vor dem Krieg und, wie mein Opa versicherte, auch schon lange vorher. Das gehörte zur Bööschjaat wie in vielen damaligen Nachbarschaften.
Da fast alle Berufe auf der Straße vertreten waren, war die Grundversorgung mit Licht und Wasser gesichert. Im Garten waren erste Ernten möglich und Hühner und ein Schwein besaßen schon einige. Da Geld kaum eine Rolle spielte, waren Tauschgeschäfte und der „Schwarze Markt“ die üblichen und funktionierenden Geschäftsmodelle.
Für meinen Schuleintritt bekam ich von meinem Onkel eine alte Aktentasche, an die der Schuster Henseler zwei Schulterriemen nähte. Schultasche fertig! Für den ersten Winter passte mir meine Kleidung nicht mehr. Ich war herausgewachsen. Meine Mutter veränderte zwei Hosen meines Vaters und kürzte die Beine. Winterhosen fertig! Die Nähmaschine hatte übrigens den Krieg in der Scheune bei meinem Opa unter Stroh versteckt überlebt. Von meinem älteren Vetter bekam ich einen Mantel, der mir zwar noch etwas zu groß war, aber wärmte. Zu kleine Schuhe wurden vom Schuster „vorgeschuht“, bekamen einen größeren Vorderteil. Alles, was notwendig war, gelang also, weil alle gemeinsam füreinander da waren, sorgten, halfen. Dazu kam, dass keiner auf ein besonders gutes Äußeres achtete. Das spielte dabei überhaupt keine Rolle. Die Funktion musste erfüllt sein.
Das änderte sich schlagartig mit der Währungsreform. Man konnte ja plötzlich für „gutes“ Geld so ziemlich alles kaufen. Man lebte wieder auf eigene Rechnung, hatte einander nicht mehr nötig.
Was mir noch auffiel!
Wenn eine Frau im Wochenbett lag (es gab ja nur Hausgeburten), übernahmen Nachbarinnen ungefragt, aber gut organisiert die Aufgaben der Mutter in der Familie, die auf jeden Fall versorgt war. Starb jemand, war selbstverständlich die Nachbarschaft hilfreich zur Stelle. Jeder achtete auf jeden. Sah man morgens die Nachbarin nicht wie üblich, fragte man natürlich sofort nach, ob alles in Ordnung sei. Klingt ja paradiesisch. War es im Grunde auch. Doch weil man sich ständig so nahe war, gab es manchmal Reibereien und Zwistigkeiten zwischen einzelnen Familien. Ein Sprichwort hieß, wenn man sich so nahe ist, dass man in die Töpfe schaut, birgt das Potenzial für Animositäten. Auch der Klatsch in der Bööschjaat war berüchtigt und führte sogar in Einzelfällen die Parteien bis zum Schiedsmann. Das kam wohl daher, dass nichts geheim gehalten werden konnte. Man wusste (fast) alles voneinander. Es gab natürlich Eifersüchteleien. Das allzu Menschliche bahnte sich auch hier seinen Weg. Erstaunlicherweise kam es nie zu überdauernden Zerwürfnissen, weil man sich, wie ich vermute, doch bald wieder nötig hatte.
Der sonntägliche Kirchgang verlief immer nach dem gleichen Ritual. Die Familien und da besonders die Kinder warteten aufeinander und gingen dann alle gemeinsam wie in einer Prozession zur Kirche, tauschten Neuigkeiten aus, machten Absprachen für die nächste Woche. Zurück ging es in gleicher Weise, allerdings ohne die Männer, die zum sonntäglichen Frühschoppen oder einem Vereinstreffen gingen, die allesamt „nach dem Hochamt“ stattfanden. Sonntags wehte übrigens immer der Duft vom Sonntagbraten durch die Bööschjaat, denn sonntags gab es – im Gegensatz zur Woche – immer eine besondere Mahlzeit, weil dann alle am Tisch waren. Es gab da ja noch die volle Arbeitswoche!
Sommerabende
An schönen Sommertagen sammelten sich immer Nachbarn draußen, saßen zusammen und erzählten. Die Älteren meist von früher oder speziell vom Krieg. Besonders beliebt waren aber Anekdoten aus dem Leben. Da man die Akteure alle kannte, verband man die Geschichten immer mit ganz konkreten Bildern. So lernten wir beim Zuhören eine ganze Menge davon, wie sich das frühere Leben abgespielt hatte, hier auf dem Dorf oder auch auf den umliegenden Gutshöfen, von denen es ja hier eine größere Zahl gibt. Diese waren in der Nachfolge der Rodung des Buchholzbusches („Bocketsböösch“) entstanden, der sich von Rurich bis nach Jackerath hinzog und von dem die Straße ihren Namen hat. Sie führte ja geradewegs dahin.
Da es ja noch kein Fernsehen gab, war das die übliche und beliebte Feierabendbeschäftigung. Diese Treffen waren typisch für die Bööschjaat. So kannte man das im übrigen Dorf nicht.
Wir Jüngeren boten bald eine Alternative. Da viele von uns gerne sangen und die große Zeit des deutschen Schlagers dafür mehr als genug an Angeboten bereithielt, sangen wir manche Stunde die Lieblingsschlager rauf und runter. Ich hatte mir das Gitarrenspiel beigebracht und wir sangen dazu.
Aus entfernten Ecken des Dorfes kamen dann Reaktionen und besonderes Lob. Das heißt also, es war abends auf dem Dorf so still, dass man unser Singen in der Bööschjaat bis im „Dreescheng“ (Ausfahrt nach Holzweiler) hören konnte.
„Events“
Zwei größere Ereignisse beschreiben die Gemeinschaft der Bööschjaat konkret, nämlich
- zwei Goldhochzeiten. Vom ersten Tag der Vorplanung bis zum Festtag und Festabend lag alles in der Hand der Nachbarschaft. Das Schmücken der Häuser wurde schon Tage vorher mit Falten von bunten Papierröschen, die die Frauen alle von Hand fertigten, eingeleitet, die zum festlichen Schmücken der mit Tannengrün bestückten Laube vor dem Haus dienten. Ein gemeinsames Geschenk der Nachbarschaft gehörte selbstverständlich dazu, das nach dem Befragen nach besonderen Wünschen des Jubelpaares ausgewählt und überreicht wurde. Die Hauptvorbereitung des Festabends im Saal Hecker, immerhin ein Festprogramm von fast zwei Stunden, nahm die meiste Zeit und kreatives Planen und Proben in Anspruch. Reigenartige Tänze der Frauen und Mädchen, Gedichte besonders der Kinder, Lieder und Sketche, die sich in der Regel auf das Leben des Goldpaares bezogen, mussten geschrieben, geprobt und mit entsprechenden Kostümen versehen werden. Der Abend bestand aus einem bunten Programm, zu dem das ganze Dorf eingeladen war. Gemeinsames Singen – und nicht nur eines Ständchens – gehörte ebenfalls dazu.
Diese Feste hatten ach je eine nachhaltige Wirkung. Der Vorbereitungskreis der Frauen traf sich danach noch in unregelmäßigen Abständen zum gemeinsamen Kaffeeklatsch oder abendlicher Erzählrunde. - Nach einem strengen Winter mit starkem Schneefall und plötzlich einsetzendem Tauwetter kam es immer wieder zu Hochwasser in der Vorstadt. Die Böden waren hart gefroren und nahmen so kein Wasser auf. Das gesamte Schmelzwasser floss so vom Jackerather Horst ab in die Nysterbachsenke. In der Vorstadt wurden Wasserstände von bis zu 1,20 m gemessen. „Vorstadt“ ist übrigens ein völlig falscher Name, der aus Unkenntnis des mundartliche „Füerstatt“ (= Feuerstätte) Vorstadt machte. Füerstatt zur Erinnerung an die urzeitliche Schmiede, die sich dort befand, wo man sich damals das rare Feuer holen konnte. Der kleine Nysterbach wurde bei Hochwasser zu einem breiten Strom, der sich durch das Tal und die Füerstatt wälzte und für Hochwasser auch in Lövenich sorgte. Nach dem Abfließen wurden ja die Schäden und Überbleibsel sichtbar. Zum Schutz wurde später der Weg zum Eichhof so erhöht, dass er zu einem Staudamm und das ankommende Wasser zu einem großen Stausee wurde. Es entstand das Bild „Katzem am See“. Dieser See animierte sogar kurze Zeit zu Fahrten mit Schlauchbooten darauf. An der Staumauer befand sich ein großer Schieber, der das Wasser dosiert weiterleitete. Johann Schiffer aus der Vorstadt hatte die Aufgabe der Regulierung.
Das Hochwasser isolierte die Bööschjaat völlig vom übrigen Ort. Die Folgen des Hochwasser habe ich in dem Artikel zur Fuerstatt beschrieben.
Bemerkenswert aber war, dass bei drohender Hochwassergefahr alle, die Hände zum Helfen hatten, im Einsatz waren. Keller und Erdgeschosse, die regelmäßig überflutet wurden, mussten gesichert werden, Möbel und gefährdete Geräte ins Obergeschoss transportiert oder „aufgebockt“ werden. Besonders wichtig aber war die Evakuierung der Tiere. Sie wurden nach abgesprochenen Plänen ins Oberdorf in dafür präparierte Stallungen gebracht. Bis kurz vor Eintritt des Hochwassers und auch oft noch gleichzeitig bei Bedarf liefen diese Rettungsmaßnahmen meist ohne große Probleme, denn alle waren in ständiger Alarmbereitschaft. Die Aufräum- und Säuberungsarbeiten liefen nach dem Verschwinden des Hochwassers wieder nach dem gleichen Hilfsprogramm ab.
Exkurs: Zur Erinnerung an diese Gemeinschaftsaktion, die selbstlose und selbstverständliche Hilfsbereitschaft und den klaglosen Zusammenhalt schlug ich für die Grundschule den Namen „Nysterbachschule“ vor, obwohl die Quelle des Nysterbaches, die sich, wie wir in der Schule lernten, im Kuhstall des Landwirts Cornelius Schumacher befand, wegen der Sümpfungsmaßnahmen von Rheinbraun nicht mehr sprudelt. So bleiben der Nysterbach und seine Geschichte weiter lebendig. Der Name steht also für helfendes Miteinander.
Anekdoten
Kleine Geschichten verdeutlichen noch die Sonderstellung, die die Straße im Bewusstsein der Bewohner einnahm. Ein Original war „Schnaps-Hannes“, ein Junggeselle aus der Temburg-Familie. Den Namen hatte er sich mit einer Aktion nach dem Krieg bis zur Währung erworben. Da es kaum Schnaps zu kaufen gab, hatte er sich in einem Stall eine Schnapsbrennerei eingerichtet. Ich erinnere mich noch an große Kupferkessel, die dort zu sehen waren. Da ging er seiner Tätigkeit als Schnapsbrenner ungestört nach, obwohl das verboten war. Das wurde aber geduldet, auch von der englischen Besatzungsmacht, weil Hannes neben den Verantwortlichen auch die Engländer mit seinem Schnaps belieferte. Ein Zwischenfall ereignete sich aber, als es zu einer nächtlichen Schießerei in der Bööschjaat kam. Englische Soldaten, die schon angetrunken waren, wollten bei Hannes Schnaps holen. Hannes aber schlief wohl einen Rausch aus und hörte ihr Klopfen nicht. Kurzerhand schossen sie deshalb die Verriegelung auf und bedienten sich. Die ganze Nachbarschaft war in Aufruhr, die sich aber nach Klärung des Vorfalls wieder legte. Das hatte allerdings sonst erstaunlicher Weise keine Konsequenzen. Der Schnaps wurde übrigens aus Zuckerrüben hergestellt, was ihm den Namen „Knolli-Brandy“ einbrachte.
Anekdotenhaft waren auch die regelmäßigen Scharmützel, die sich die Frauen der Bööschjaat mit den Bauern lieferten, die im Sommer ihre Kühe von der Weide am späten Nachmittag in die Ställe zum Melken zurückbrachten. Die Kühe hatten den ganzen Tag frisches Grün gefressen, das die Verdauung in besonderer Weise förderte. Und das führte dann unweigerlich dazu, dass sie regelmäßig genau in der Bööschjaat ausgiebig ihren Darm entleerten. Die Straße, keineswegs wie heute geteert, sondern bestehend aus Dreck und Steinen, wurde mit Kuhfladen überzogen, zugegebenermaßen eine richtige Sauerei. Dass das die Frauen in höchstem Maße erregte, kann man verstehen. Als die Straße später geteert war und Autos die Straße danach befuhren, spritzten sie im Vorbeifahren die Fäkalien gegen die Hauswände. Die Aufregung war immer groß, das Geschimpfe deutlich in Richtung Bauern änderte aber nichts an der Prozedur. War halt so! Heute wohl undenkbar!
Folgen des Wohlstandes
Diese Art von Miteinander aber ließ später immer mehr nach. Die nachfolgende Generation verließ in großer Zahl ihr Zuhause. Fremde zogen zu. Der gewachsene Zusammenhalt schwand. Man hatte sich auch nicht mehr so nötig, ja kapselte sich sogar immer mehr ab. Alles war individualisierter wie auch in der übrigen Gesellschaft. Dem Ich musste das Wir immer mehr weichen. Die Originalität der Bööschjaat war dahin.1






