Vorbemerkung
Im Mittelalter sind für einen Ort oder eine Region mehrere unterschiedliche Abhängigkeits- bzw. Ordnungsstrukturen auszumachen. Gemeint sind damit die kirchliche, die grundherrschaftliche und die landesherrschaftliche Zuordnung. Diese drei Machtsphären können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden, sondern sie stehen klar in einem Bezug zueinander.
Grundherrschaftliche, landesherrschaftliche und kirchliche Zuordnung
Für Erkelenz stellt sich die Zugehörigkeit zu den drei genannten Ordnungssystemen wie folgt dar:
Am 17. Januar 966 bestätigte Kaiser Otto I. dem Aachener Marienstift den Besitz des Fronverbandes Erkelenz, der das ganze Kirchspiel umfasste. Diese grundherrschaftliche Zuordnung belegt die Existenz der Siedlung und gleichzeitig wird deutlich, dass der Raum bereits im 10. Jh. wirtschaftlich nicht zu vernachlässigende Erträge versprach. Die Grundherrschaft bezeichnet eine mittelalterliche und frühneuzeitliche Besitzstruktur, sie beschreibt und kennzeichnet die Verfügungsgewalt eines Grundherrn über das zu nutzende, zu bearbeitende Land und die darauf lebenden Personen. Der Grundherr ist nicht zwangsläufig identisch mit dem Landesherrn, der die politische Herrschaft in einem Territorium ausübt. Siedlungen und Orte unterstanden also unterschiedlichen, theoretisch getrennten Abhängigkeits-, Anspruchs- und Forderungsbereichen.
Territorialpolitisch gehörte Erkelenz zum Herzogtum Geldern, im deutsch-niederländischen Grenzgebiet gelegen, das sich im Verlauf des 11. Jahrhunderts als Herrschaft etabliert hatte.
Als erster historisch gesicherter Graf von Geldern gilt Gerhard von Wassenberg (1085 – 1131/38)1. Aus dem Aachener Marienstift hatten auch die Grafen von Wassenberg-Geldern Besitz in Erkelenz. Über Gerhard I. und seinen Sohn Gerhard (II.) schreibt Mathias Baux als Gott wohlgefällig Lebende, „deuchdelich leven und devocie tot got“2, die wiederholt Klöster und Stifte förderten. So stiftete im Jahr 1118 Gerhard wohl auch der neu gegründeten Kirche in Wassenberg ein Gut in Erkelenz.3
Welche Einflussnahme von Seiten des Marienstiftes oder der Grafen von Geldern in den nachfolgenden Jahrhunderten mit welcher Wirkung für Erkelenz stärker war, ist im Detail nicht immer nachvollziehbar. Allerdings ist für das Jahr 1326 belegt, dass ein Streit zwischen Propst und Kapitel zu Aachen um die Einkünfte aus den Erkelenzer Gütern zu einem Vertrag zwischen den beiden Aachener Parteien führte, aus dem deutlich wird, dass Erkelenz eine überörtliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt hatte. Die Urkunde zeigt, dass Erkelenz eine Reihe von Funktionen zugewachsen waren, die nahezu städtischen Charakter aufwiesen. Aufgeführt werden Einkünfte aus dem Gewandhaus, Zoll- und Markteinkünfte. In der Besieglung dieser Urkunde steht neben den Vertretern der Grund- und der Landesherrschaft auch der Bischof Adolf von Lüttich, zu dessen Bistum Erkelenz gehörte. Kirchlich blieb Erkelenz bis 1559 dem Bistum Lüttich zugeordnet.
In der Stadtchronik heißt es zum damaligen Rechtsverhältnis so: „Item der proest vurß heut gewalt bynnen der Stat Ercklenntz einen Scholtis [Schultheißen] to setten und t’ontsetten, alle tyt to seinen willen.“4 Zum Verhältnis von Propst und Einwohnern heißt es an gleicher Stelle über das Gewandhaus der Stadt und das den Bürgern zugestandene freie Jagd- und Fangrecht: „Item der proest hat den Burgern bynnen Ercklenntz dat gewanthuys gefryhet und overgegeven und hait dairbeneven ouch den Burgern overgegeven vnd verlaeten die Wyldtbane, so dat sy moegen jagen vnd vangen vry onvergehindert bynnen seiner herlichkeit to Ercklenntz to veld, Bussche und water alle wildt […] und dat ist also van alter herbracht und alle wegs gehalten worden.“5
Stadtrecht für Erkelenz
In Streitigkeiten zwischen dem Aachener Marienstift und Erkelenz im Jahr 1326 war der Graf von Geldern als Schlichter angerufen worden; er gewann offensichtlich an Einfluss und Macht. Der Streit ist nicht zuletzt auch ein Beleg dafür, dass grundherrschaftliche und landesherrschaftliche Interessen kollidierten und das Kräfteverhältnis austariert werden musste. Die Verleihung des Stadtrechtes durch Rainald II. geschah gegen die Rechte und den Willen von Propst und Kapitel in Aachen. Die Verleihung von Stadtrechten an Erkelenz war für das Aachener Marienstift ein Nachteil, denn die mit dem Rechtstitel versehene Stadt Erkelenz wurde vom Stift unabhängiger und gleichzeitig fester in das geldrische Territorium und die Herrschaft eingebunden. Es ist durch die belegten Streitigkeiten auch eine Vertiefung der Spannungen zwischen dem Propst und dem Kapitel anzunehmen, bei der der Landesherr eher dem Kapitel zuneigte.6 In der Stadtchronik verzeichnet Baux: „Item Anno 1326 hait Greve Reinoldt von Gelre der Stat und burgern van Ercklens stetische und burger rechten gegeven tegen proest vnd capitell Unser Lieuer Frauwen to Aachen.“7
Auf genau diese Passage der Baux-Chronik greift die Stadt Erkelenz für die Datierung der Stadtrechtserhebung zurück.
Die Stadturkunde existiert nicht mehr; das Fehlen dieser Urkunde wird bereits von Baux als Problem wahrgenommen, denn er begründet die von ihm als Chronisten vorgefundene Situation. „Bei der Eroberung der Stadt durch den Grafen von Mark im Jahre 1370 seien der Stadt alle ire Carten, privilegien, hantfesten, segel und brieff genommen worden. Tatsächlich bestätigt Graf Wilhelm im Dezember den Erkelenzern alle carten, privilegien, hantvesten und brieve, die sy hebben of gehadt hebben umd zwar ausdrücklich.“8
Anlässlich der 650 Jahrfeier der Stadt Erkelenz befasste sich ein Beitrag von S. Corsten mit der Fragestellung: „Erkelenz erhält Stadtrechte. Fragen und Probleme“.9 Auch gibt es die These, die Stadtrechtserhebung sei nicht bereits unter Rainald II. geschehen, sondern falle in die Zeit unter Rainald III. zwischen 1347 bis 1359.10
Eines ist richtig, es war „in der Tat ein Graf Rainald von Geldern, der Erkelenz Privilegien erteilt“ hat11. Unter Rainald II. – von Kaiser Ludwig dem Bayern zum Herzog erhoben – wird Geldern im März 1339 auf dem Frankfurter Reichstag zum Herzogtum. Rainald wird erster Herzog, und Erkelenz ist – dem Chronisten Mathias Baux folgend – ein mit Stadtrechten ausgestatteter Ort im Herzogtum Geldern.
Lage der Stadt
Die Verleihung von Rechten und Privilegien stellt für einen Ort bzw. eine Stadt immer eine Aufwertung im Vergleich zu anderen Städten innerhalb des Herrschaftsgebietes dar. Gerade Zoll-, Markt- und Handelsrechte bedeuten für die einheimischen Händler und Handwerker eine Ausweitung des Warenaustauschs über die eigene Region hinaus und schaffen die Voraussetzung für wirtschaftliche Vielfalt und Wohlstand. Die Stadt selbst profitiert von einer solchen Entwicklung durch steigende Steuereinkünfte und so waren gerade Marktprivilegien fundamental für das wirtschaftliche Wachstum einer Stadt. Eine Stadt musste allerdings auch die Voraussetzungen dafür bieten, dass eine Privilegierung allen beteiligten Seiten einen Gewinn versprach.
Sicher ist, dass die Verleihung der Stadtrechte und die Übergabe einer Stadturkunde nicht den Beginn einer Entwicklung darstellen, vielmehr wird auf diese Weise ein vorausgegangener „Stadtwerdungsprozess“ als Ergebnis markiert.
Für Erkelenz korrespondiert die Stadterhebung mit den günstigen Bedingungen für Handel und Markt einerseits. Im Erkelenzer Raum treffen zwei Landschaftsformen aufeinander. Nördlich der Stadt war das sandigere und wasserreiche Schwalm – Nette Gebiet gelegen. Die südlich der Stadt gelegene fruchtbare Erkelenz-Jülich-Dürener Börde nahm mit dem Lössboden innerhalb des Herzogtums Geldern, in dem Weide- und Marschlandschaft überwog, eine wichtige Rolle ein. Die Kennzeichnung „het korenrijke Erkelens“ basiert genau darauf, dass das Herzogtum ausschließlich in diesem Gebiet über einen guten Getreideboden verfügte.12 Die beiden wichtigen Flüsse des geldrischen Oberquartiers entspringen innerhalb des heutigen Stadtgebietes: die Schwalm in Geneiken (Dykerhof) und die Niers in Unterwestrich (Zourshof). Die Rur/Roer, deren Mündung der Hauptstadt des Oberquartiers ihren Namen gab, fließt an der westlichen Stadtgrenze vorbei zur Maas. Insgesamt bot die Lage der Stadt sehr günstige Voraussetzungen für gute landwirtschaftliche Erträge und deren Vermarktung. Eine gute Versorgungslage fördert gleichzeitig Handwerk und Handel.
Andererseits ist die geographisch strategische Lage von Erkelenz im Herzogtum Geldern von Bedeutung. Wenn auch für Erkelenz eine vorstädtische Befestigung nicht auszuschließen ist13, so beginnt die eigentliche Befestigung der Stadt im 14. Jahrhundert. Erkelenz ist die am weitesten südlich gelegene Stadt im Herzogtum Geldern. Mauern und Tore gelten als äußerlich sichtbare Kennzeichen einer mittelalterlichen Stadt, sie dienen dem Schutz der Bevölkerung und der eindeutigen Markierung eines Herrschafts-, Handels- und Wirtschaftsraumes. In Erkelenz ist wohl 1355 mit dem Bau des Brücktores, dem ältesten Stadttor, begonnen worden. Dieser Bau zog sich bis etwa 1430 hin.
Der Bau der landesherrlichen Burg ist ein weiteres äußeres Zeichen der Macht. Der damalige Landesherr Herzog Arnold konnte sich mit seinem Plan, die Burg über eine Brücke von außerhalb der Stadt zugänglich zu machen, nicht gegen den Widerstand der Erkelenzer Bürgerschaft durchsetzen. Ihre Beschwerde hatte Erfolg, am 24. Oktober 1423 versprach der Herzog, den Bau der Brücke zu unterlassen.14 Der quadratische, viergeschossige und 23m hohe Burgturm vermittelt noch heute eine gute Vorstellung der Wehrhaftigkeit, die die Gesamtanlage ausstrahlte. Zusätzlich gehörte ein Graben zur Befestigungsanlage der Stadt.
Die Befestigungssituation präsentiert sich nach Ende der Baumaßnahmen als wuchtig; die Stadt war eine geldrische Grenzfeste, eine geldrische Exklave, rundum von Jülich umgeben. In dieser Isolation lag eine Schwäche der Stadt, denn selbst die so befestigte Stadt war gefährdet.
Neben der Burg lagen drei der vier Stadttore im nordöstlichen Teil der Stadtmauer. Diese Form der Befestigung bedeutete sichtlich Schutz für die Stadt nach innen, gleichzeitig bedeutete sie auch Schutz und Absicherung der in unmittelbarer Stadtnähe gelegenen Straßen und Handelswege, denn Erkelenz lag an der von Köln kommenden Fernhandelsstraße und war so auf dem Landweg mit Roermond und weiter noch bis Antwerpen verbunden.
Wirtschaftliche Situation der Stadt
Das Aachener Marienstift als Grundherr wie auch die Grafen und späteren Herzöge von Geldern als Landesherrn hatten die günstige Lagebedingung von Erkelenz offensichtlich erkannt und förderten die Stadt durch die Vergabe von Privilegien und Rechten, die im Laufe der Zeit sogar erweitert und z. B. bei einer Erbfolge neu bestätigt wurden. Der Chronist Mathias Baux widmet diesem Thema ein umfangreiches Kapitel unter der Überschrift:
VAN DEN FRIHEN JAERMARCKTEN; WEECKENMARCKTEN UND ANDEREN FRIHEN DAGEN DER STADT ERKELENTZ
Bis heute wird in Erkelenz am Sonntag nach Maria Geburt die Spätkirmes gefeiert, dies steht genau in der Tradition der geldrischen Geschichte der Stadt.
Die Stadtchronik gibt genauen Aufschluss über die Vielzahl der Markttage und die Terminierung im Jahresverlauf. Auch erschließt sich aus der Chronik das reichhaltige Warenangebot. Konkret genannt werden: Butter, Käse, Schmalz, Fleisch, Brot, Kräuter, Spezereien und Gewürze; dazu Korn, Öl, Salz, Wein und Bier. Auch mit Gold, Silber, Zinn, Kupfer und Eisen wurde gehandelt.
Zudem ist ausführlich dargelegt, dass es dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt oblag, auf die Korrektheit bei Gewichten und Maßen zu achten. So durften Leinen, Wolle und Seide nur mit einer Elle gemessen werden, die „recht geeicht vnd mit der stadt rosen geteickent have vnd halde, dair mit in koupen und verkoupen niemantz bedrogen werde“.15 Bei dem hier genannten mittelalterlichen Eichzeichen der Stadt, der Rose, ist die Mispelblüte gemeint; diese geldrische Rose ist das älteste heraldische Zeichen Gelderns.
Die Währungen, in denen gerechnet wurde und die Baux in der Chronik notiert hat, zeigen die Orientierung der Stadt sowohl in den Kölner Raum als in den Maas Raum. Es finden sich Kosten, die in Rheinischen Gulden beziffert werden, daneben werden die Aachener Münze wie auch die Brabanter Währung genannt. Nicht unerwähnt bleiben sollten auch die nur kurze Zeit geprägten Erkelenzer Münzen. „In drei Städten des geldrischen Oberquartiers wurden Münzen mit dem Namen von „Wilhelm, Herzog von Jülich und Geldern“ geprägt, und zwar in Erkelenz, Roermond und Venlo. […] Aus Erkelenz sind ein Groschen und gleichartiger halber Groschen bekannt.“ Auf den wenigen bisher bekannten Münzen, die um 1380 geprägt wurden, finden sich verschiedene Schreibweisen des Stadtnamens – u. a. EIRKLeINDenSIS.16
Die Bedeutung der Stadt ist im Gefüge anderer geldrischer Städte unverkennbar. So schlossen sich beim Erbübergang des Herzogtums Geldern auf den erst zehnjährigen Rainald III. nach dem Tod seines Vaters Rainald II. im Jahr 1343 die geldrischen Städte zu einem Städtebund zusammen. Man versprach sich gegenseitige Hilfe, damit Gewalt und Unglück abgewehrt werde und um der Einigkeit im Allgemeinen und der Gerechtigkeit im besonderen vorzustehen. Dem Städtebund gehörten die Hauptstädte der vier geldrischen Quartiere an: Arnheim, Zutphen, Nimwegen und Roermond. Angeschlossen waren auch die Städte Geldern, Emmerich, Thiel, Salt-Bommel, Harderwijk, Doesburgh, Goch, Dotechem, Lochem, Venlo, Nieustad, Gent, Maas-Bommel, Wageningen, Elburg, Hattem, Erkelenz und Echt. Ein Bündnis von Erkelenz im Süden bis Harderwijk im Norden.
Einige der genannten Städte waren Hansestädte. Roermond, die Hauptstadt des geldrischen Oberquartiers, gehörte seit 1441 zur Hanse.17 Insofern wirft diese Auflistung der Städte die Frage auf, ob Erkelenz Beziehungen zur Hanse hatte oder gar Mitglied der Hanse war. Allerdings kommt das Wort Hanse – Anze – in der Stadtchronik nur einmal vor, „als bynnen der Stat Niemagen ein gemein lantdach die Anze belangende beraempt und angestalt, dair die verordente van allen stetten des furstendoms Gelre und graeffschap Sutphen verschreven und versamelt waern,“18. Der Vertreter der Stadt Erkelenz, Goswin von Wockerath, war aber auf dem genannten Landtag wegen einer Auseinandersetzung mit dem Marienstift in Aachen nach dem großen Stadtbrand von 1540. Es findet sich keine Aussage über eine Zugehörigkeit von Erkelenz zur Hanse.
Ende des 15. Jhs. erreichte die geldrische Stadt Erkelenz ihren wirtschaftlichen Höhepunkt. Die Finanzlage war gut und Erkelenz gehörte damit zu den wirtschaftlichen Garanten landesherrschaftlicher Finanzen, was sich möglicherweise auch in den erweiterten Vergünstigungen widerspiegelte. Die solide Finanzsituation der Stadt und die Wohlhabenheit der Bürger begünstigten auch die innerstädtische Entwicklung. Der Baubeginn der Pfarrkirche datiert in das Jahr 1458. Aufgrund eines relativen finanziellen Wohlstandes war auch die Bereitschaft gegeben, in eine kostspielige Ausschmückung der Kirche zu investieren: das Adlerpult (1. Hälfte des 15.Jhs.), der Marienleuchter (1517) und die Kreuzigungsgruppe (1486) sind dafür Beleg. Diese sakralen Kunstgegenstände haben die Kriege überdauert und gehören noch heute zur Ausstattung der Pfarrkirche St. Lambertus.
Darüber hinaus sind Mitte des 15. Jhs. einige Wohltätigkeitsstiftungen für Erkelenz belegt, die das Bild einer saturierten Stadtgemeinschaft vervollständigen.19
Erkelenz in der geldrischen Erbfolge
Die Geschichte des Herzogtums Geldern wurde nach dem Tod des Herzogs Eduard von Geldern am 22. August 1371 in der Schlacht bei Baesweiler und dem kurz darauf folgenden Tod seines Bruders Rainald III. im Dezember 1371 über Generationen und Jahrhundertgrenzen hinweg von kriegerischen Erbauseinandersetzungen bestimmt. Es gab drei große geldrische Erbfolgekriege:
1. Geldrischer Erbfolgekrieg (1371 – 1379)
Wilhelm I. von Geldern trat als Neffe das Erbe Eduards und dessen Bruder Rainald III. an. Nach dem Tod seines Vaters wurde Wilhelm auch Herzog von Jülich und beherrschte so zwei Herzogtümer, die jedoch nicht zu einem Verbund zusammengeschlossen wurden.
2. Geldrischer Erbfolgekrieg (1423 – 1444)
Im Doppelherzogtum Geldern-Jülich gab es nach dem Tod von Rainald von Jülich-Geldern (zählt als Rainald IV. von Geldern und war ab 1402 Herzog) im Jahr 1423 keinen legitimen männlichen Erben. Die Erbauseinandersetzung zwischen beiden Parteien des Doppelherzogtums vollzog sich in mehreren Phasen. 1444 endeten zwar die kriegerischen Auseinandersetzungen, formal endete der Erbstreit jedoch erst 1473, als Karl der Kühne von Burgund eine hohe Summe (ca. 90000 Gulden) für die Ablösung der Erbansprüche auf Geldern an Jülich-Berg zahlte.
3. Geldrischer Erbfolgekrieg (1538 – 1543)
Aus dem Anspruch zwischen den vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg und Kaiser Karl V. um das Herzogtum Geldern ergab sich der dritte kriegerische Konflikt. Ausgelöst wurde der Streit, als Karl von Egmont 1538 ohne männlichen Nachfolger starb.
Der wirtschaftliche Aufschwung und die Blüte der Stadt Erkelenz prallten seit Ende des 15. Jhs. mit den großen politischen Veränderungen im Herzogtum Geldern aufeinander. Die Stadtchronik berichtet: „Item 1473 hadt Hertoch Carll van Burgundien den Hertoch von Gelre gefangen vnd naem ihm dat gantze Land van Gelre af“.20 Karl der Kühne von Burgund, der 1474 auf dem Reichstag zu Trier mit Geldern belehnt wurde, war 1476 in Erkelenz. Die Stadt huldigte ihm als „ein pant vnd schirrmherre des Landes van Gelre, dat hy to syner hant vnd gewalt gewonnen hadde“21. Solche Huldigungen wurden aber – so in der Stadtchronik nachlesbar – im schnellen Wechsel vielen Herren zuteil: Arnold von Geldern, Adolf von Geldern, Karl von Geldern aus dem Hause Egmont und nach dem Tode Karls des Kühnen, gefallen im Januar 1477, auch seinem Schwiegersohn Maximilian von Österreich. Maximilian war seit August 1477 mit Maria von Burgund, der Tochter Karls des Kühnen verheiratet.
Seit der Herrschaft Maximilians von Österreich war Erkelenz nicht mehr nur dem Raum zwischen Maas und Rhein verbunden, sondern war auch eingebunden in die politischen Aktivitäten der Habsburger im niederländischen Raum und in ihre großen europäischen Auseinandersetzungen. Maximilian widmete sich zuerst der Sicherung der niederländischen Besitzungen Burgunds. Er besuchte 1481 Erkelenz22, visitierte im Winter 1481/82 flandrische Grenzfesten und kam Fronleichnam 1487 zusammen mit dem Bischof von Camerich [Cambrai] zurück nach Erkelenz.23 Beide Städte gehörten kirchlich zum Bistum Lüttich.
Am 21./22. August 1498 wurde Erkelenz von Herzog Wilhelm von Jülich eingenommen, d. h. die Stadt fiel ihm durch Verrat zu. Dieses Ereignis kann beispielhaft dafür angesehen werden, warum Erkelenz – wie andere Städte auch – durch die dauernden Kriegszüge in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. Am 23. August 1498 wurde vertraglich vereinbart, dass „Erkelenz dem Herzog 4000 Gulden bezahlen musste und dessen Räten noch 100 Gulden für gnädige Behandlung der Stadt“24. Obwohl die Stadt danach auf herzoglichen Befehl nicht geplündert wurde, sondern dem Herzog am folgenden Tag huldigen musste, waren die Sympathien der Erkelenzer Bürger auf der Seite Gelderns. Ein 15-strophiges geldrisches Lied eines unbekannten Verfassers, offenbar ein gebürtiger Erkelenzer, über die Kriege in Geldern zeigt ganz offen die Sympathie für Karl von Geldern.25
Wenn Gott so will, soll ich beginnen, wo alle Welt beginnt // zu dichten und zu singen, wie es Herzog Karl geht. // Im Geldernland geboren, ein Herzog und auch ein Graf: // sie wollen ihn verjagen: „sie“ — das ist Jülich und Kleve.
Welche Hoffnung soll ich haben?, sprach zu sich das edle Blut; // von Vater und auch von Mutter sind mir die Verwandten nicht wohl gesonnen. // Nun will ich auf Gott und seine Heiligen vertrauen // und auf Maria, die werte Mutter; es kommt, wie es kommen soll.
Mein Vater wurde gefangen mit großer, gewaltiger Kraft // und hat so manchen traurigen Tag im Gefängnis verbracht. // Sein Land wurde ihm wiedergegeben, sein Leib und auch sein Gut. // Er sollte die Brabanter beschirmen; das brachte ihn in Not.
Ich wurde sehr jung gefangen genommen; vergessen kann ich’s nicht. // Gott und seine werte Mutter Maria, auf die ich mich verlassen habe, // die haben mir im 21. Jahre geholfen. // Was mehr soll ich noch sagen? Ihr wisst es doch offenkundig.
O Herr Gott im Himmel, wer bringt uns in diese Drangsale? // Das sind Jülich, Kleve und Egmond, die denken nicht daran, es zu unterlassen. // Vielmehr wollen sie mich verjagen, das sage ich Euch fürwahr. // Euer Land wird Euch verdorben, das wisst Ihr alle offenkundig.
Baittenburg ist mir genommen, Leerdam lass‘ ich stehen, // von Erkelenz wollen wir singen; nun wollt Ihr mich wohl verstehen: // Das haben die Verräter genommen und dabei ihre Ehre verloren; // das wird sie wohl noch reuen, oh ewig ist so lang.
Herr Humpesch hat lange geraten, wie übel ist er bedacht. // Er hat ein Bier gebraut, die Lande gegeneinander aufgebracht. // Und beide edle Herren, ihre Namen sind wohl bekannt // Wer die Kahlen rupfen will, der komm nur ins Gelderland.
Als man das Jahr 1494 schrieb // sollten die Geldrischen wieder erstarken und das ihrige zurückholen. // Die Jülicher sollten weichen, ihr Mut sollte krank werden. // Ach würde uns das nur geschehen, in nicht zu langer Zeit.
Der „Beschützer aller Welt“ ist in das Gelderland gekommen. // Die Kirchen hat er geplündert, den Handel hat er verdorben. // Die Priester hat er gefangen, Frauen und Kinder ungezählt. // Unser Herrgott muss das vergelten, der alles Böse vergilt.
Er ist weiter gezogen nach Straelen in das Zandt, // das Kloster zu zerstören, (das Bild) Unserer Lieben Frau ist dort geschändet worden. // Der Tümmler hat dort geschossen, Straelen ist sehr zerstört. // Sie haben es aufgegeben, ihr Herz war sehr beschwert.
Mit sechs Landesherren waren sie belagert, drei davon sind schon genannt: // Sachsen, Bayern und Brandenburg, die Grafen sind wohlbekannt. // Ritter, Bannerherrn und Köln, die taten auch ihr Bestes. // Sie haben nicht mehr eingenommen als Straelen, das Krähennest.
Sie dachten, Venlo mit Drohen und Freibriefen zu gewinnen. // Sie wollten sie mit dem Versprechen übernehmen, sie gnädig zu behandeln, die Gemeinde wollte dem nicht glauben. // Der Türk hat da geschos-sen, es gab da großes Durcheinander. // Drei Wimpel sind in Venlo vor das heilige Kreuz gehängt worden.
Die von Roermond sind ausgezogen in ihrem Übermut. // Ihre Pferde sind zu Haus geblieben, denn sie gingen alle zu Fuß. // Sie haben Echt erobert und mussten doch nichts erleiden. // die Deutschen sind geflohen, die Wallonen nahmen sie mit.
Die von Venlo hatten’s gehört, sie waren schnell entschlossen. // Sie sind nach Süch-teln gekommen, da gewährten sie keinem Gnade // mit Gefangennahme, Plündern und Brandschatzen. Sie ließen da weder Wein noch Bier zurück. // Sie waren zu Fuß ausgezogen, zu Pferde kamen sie zurück.
Der dieses Gedicht gmacht hat — sein Name ist unbekannt. // Man kann ihn in Erkelenz finden, oben im Gelderland. // Fromme Herren pflegte er zu preisen, in Tugenden ist all sein Rat, // aber Handel zu schädigen und Kirchen zu schänden, das steht keinem Herren an.
Aus: Baux-Chronik Seite 120 – 122
Mitte des 15. Jhs. kam die Stadt wieder an Karl von Geldern, dem sie sich zur Treue verpflichtete. In den Auseinandersetzungen um die Erbfolge sah Erkelenz wohl kein Ende ab, denn sie kaufte z. B. 1500 neue Büchsen in Viersen und Venlo. Neben der Anzahl und den Kosten betont Baux, dass „die schepen to Erckelentz op ire kosten behoeve der stat“26 den Auftrag erteilt haben. Weitere Geschütze wurden in den Jahren 1521 und 1522 geordert. Diese neuen Geschütze mit 300 und 800 Pfund Gewicht sind in Erkelenz selbst gegossen worden. Die Stadt wollte offensichtlich wehrhaft sein und traf aus diesem Grund Entscheidungen in eigener Verantwortung.
Das innerstädtische Leben war nicht nur durch die Kriegswirren und die Schulden verursachenden Kriegskosten belastet, sondern auch durch den großen Stadtbrand vom 21. Juni 1540. Die erste Not danach linderten die geldrischen Städte Roermond und Venlo sowie die Klöster Hohenbusch und Gladbach. Auch wenn Erkelenz die Städte Nimwegen, Zutphen und Arnheim um Hilfe beim Wiederaufbau bat und Unterstützung erfuhr, blieben noch Jahrzehnte Lücken im Stadtbild. 1541 wurde der Rathhausneubau an Jan van Vyrss vergeben, der Wiederaufbau sollte also zügig angegangen werden. 1546 war der Rathausbau vollendet.
Beendigung des 3. Geldrischen Krieges 1543
Der große Stadtbrand und der Wiederaufbau des Rathauses fielen in die Zeit des 3. Geldrischen Erbfolgekrieges, auch Klevischer Krieg oder Jülicher Fehde genannt. Nach dem Tod des letzten Herzogs Karl von Egmont sollte Wilhelm V. nach Wunsch der geldrischen Stände die Herrschaft übernehmen. Er war klevischer Erbprinz, was durch die so angestrebte Vereinigung der Herzogtümer zu einer großen Dominanz innerhalb des Reiches geführt hätte. Ein solcher Machtgewinn stand den Interessen des Hauses Habsburg entgegen, das Geldern als Teil des burgundischen Erbes für sich beanspruchte und durch den Besitz vom Herzogtum Geldern seinen niederländischen Herrschaftsanspruch ausbauen und festigen wollte.
Die Frage der geldrischen Erbfolge beendete Karl V. in einem kurzen, harten Feldzug, der in der Eroberung Dürens gipfelte.27
Die anhaltenden Kriege waren für die Bevölkerung eine schwere Belastung; man lebte in Angst vor Plünderung und Brandschatzung. Daher schickte Erkelenz dem Kaiser seinen Pfarrer Goswin von Wockerath entgegen, Unterwerfung anzeigend und um Frieden bittend. Karl V., der sich auf dem Weg nach Roermond befand, besuchte am 29. August 1543 Erkelenz und nahm im Haus des Pfarrers sein Mittagsmahl ein.28
Der 3. Geldrische Erbfolgekrieg endete mit dem Vertrag von Venlo (7. September 1543) und dem Venloer Kniefall.
In diesem Vertrag verlangte Karl V. vom Herzog von Kleve den endgültigen Verzicht auf das Herzogtum Geldern und die Grafschaft Zutphen, damit waren die habsburgischen Territorien um das gesamte Herzogtum Geldern erweitert. Geldern bestand aus vier Teilen, Quartiere genannt: Nimwegen, Arnheim, Zutphen und Roermond. In der Reichsteilung Karls V. kam das gesamtgeldrische Gebiet zusammen mit den Niederlanden an Spanien. Erkelenz gehörte von diesem Zeitpunkt an zu den spanischen Niederlanden. Es fand jedoch keine Eingliederung in das spanische Rechtssystem statt, sondern die Beibehaltung des geldrischen Landrechtes wurde vertraglich zugestanden.
Der Vertrag von Venlo erfuhr durch den Burgundischen Vertrag zu Augsburg vom 26. Juni 1548 eine politisch organisatorische Ergänzung, denn durch eine Reform der Reichsverfassung wurden Geldern und Utrecht aus dem Rheinisch-Westfälischen Reichskreis in den Burgundisch-Westfälischen Reichskreis umgegliedert. Die Reichskreise waren unter Kaiser Maximilian I. geschaffene Bezirke, deren Aufgabe u. a. in der Wahrung des Landfriedens, in der Aufsicht über das Münzwesen und die Aufbringung der Reichssteuern bestand.
Die Entwicklung unter Philipp II.
In einem weiteren Schritt erfolgte 1559 – jetzt unter Philipp II., dem Sohn Karls V. – auf dem Konzil von Trient die kirchliche Neuordnung des niederländischen Raumes. Erkelenz, das bisher dem Bistum Lüttich und der Kirchenprovinz Köln angehört hatte, wurde dem neu errichteten Bistum Roermond zugewiesen, das seinerseits der Kirchenprovinz Mecheln unterstand. In der Circumscriptionsbulle des Bistums Roermond werden die Orte Erkelenz, Kückhoven und Wegberg namentlich erwähnt. Auch die nicht-geldrischen Pfarreien Schwanenberg und Tüschenbroich sollten zu Roermond kommen, aber der Widerstand des Bistums Lüttich war so groß, dass Schwanenberg und Tüschenbroich bei Lüttich blieben.
Politisch stand die Regentschaft Philipps II. von Beginn an unter dem Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus, der u. a. in den 80-jährigen Krieg führte. Philipp selbst war ein entschiedener Vertreter der Gegenreformation. Mit seiner strikten Haltung beförderte er den Loslösungsprozess der protestantischen Teile der Niederlande.
Über die politische Entwicklung sagt die Stadtchronik: „Item Anno 1577 vff S. Michaelis tagh, als die Nidder Landenn von dem Koeningh zu Hispanien, Hertzogen zu Gelre abgefallen vnnd in twisten stunden vnd die staten des lantz sich der Regierungh vnderwunden“29 kam es vor der Stadt in Kückhoven zu einem Treffen von „Welschen“ und den königstreuen „Hoichteutschen“ . Auch wenn Erkelenz 1607 für kurze Zeit von Hendrik von Nassau (er kämpfte für die Freiheit der Niederlande) eingenommen wurde, so blieb Erkelenz während des 80-jährigen Krieges (1568 – 1648) spanisch. Dazu liegen im Archiv der Stadt Briefe von Herzog Alba und Alexander Farnese von Parma. Die Erkelenzer Bedeutung als Feste sank, denn die von der Stadt 1521 und in den folgenden Jahren angeschafften Geschütze wurden auf Albas Befehl nach Venlo gebracht und kamen trotz einer Bittschrift, die Philipp II. von Spanien am 22.4.1558 in Madrid übergeben wurde, nicht wieder nach Erkelenz zurück.
Bittschrift der Stadt Erkelenz an König Philipp II. von Spanien:
Obwohl Erkelenz unter allen Städten des (ehemaligen) Herzogtums Geldern die geringst und kleinest, so sei die Stadt doch als einzige bei der alten römischen Religion und bei der ihrer königlichen Majestät beständig verblieben. Im Kampf wider die Freibeuter und Feinde seien ihre Häuser und Höfe verbrannt und 60 – 70 Personen gefengklich hinweggeführt, beraubt und etliche auch erschlagen worden. 1568 hätte der Herzog von Alba, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß die Stadt nicht zu halten war, Befehl gegeben, Geschütz und Munition nach Venlo abzuliefern und die Stadt zu räumen. Die Geschütze hätten sie zwar abgeliefert, doch hätten sie es nicht über sich gebracht, die Stadt zu verlassen. Es sei ihnen statt dessen mit Gottes Hilfe gelungen, die Stadt dem König von Spanien zu erhalten. Das sei solange gut gegangen bis 1577 der Generalstatthalter Don Juan d’Austria ein halbes Fähnlein Knechte des polwylerschen Regimentes unter Kapitän Fegersheim zur größeren Sicherheit in die Stadt gelegt hätte. Diese aber hätten die Bürger in übelster Weise traktiert und die Stadt gebrandschatzt, zahlreiche Häuser und eine der zwei städtischen Mühlen seien abgebrannt. Schließlich hätte die Besatzung Erkelenz eigenmächtig verlassen und sich nach Roermond in die Garnison begeben, nicht ohne vorher die Summe von 14.000 Gulden von den Bürgen zu erpressen. Trotz alledem seien sie als einzige Stadt in Geldern bei ihrer königlichen Majestät verblieben und hätten sich in keine Union mit den übrigen Rebellen eingelassen. 1581 sei ihnen dann vom Prinzen von Parma […] auch schon einmal Schadenersatz in Aussicht gestellt worden. Zudem hätten sie bei den ausländischen Nachbarstädten eine merkliche Summe aufnehmen müssen, und die hierfür fälligen Zinsen könnten sie nun kaum mehr aufbringen. Dies alles zwinge sie, ihrer königliche Majestät folgende Bitten vorzutragen: Rückgabe der nach Venlo gebrachten Geschütze, Befreiung der Stadt auf 24 Jahre von allen Kontributionen und Einquartierungen, Wiederaufbau der niedergebrannten städtischen Mühle mit dem rückständigen Sold des polwylerschen Regimentes sowie Erlaß der von dieser Mühle zu zahlenden 35 Malter Weizen (oder 72 Dukaten) auf 24 Jahre.30
(Die Bittschrift […] wurde am 22.4.1588 in einer Audienz zu Madrid Philipp II. überreicht, blieb aber ohne jeden Erfolg).
Erkelenz musste in dieser Zeit große Anstrengungen unternehmen, dass der „Venloer Vertrag von (15)43 buchstabengetreu in allen Punkten eingehalten werde“ und „die Untertanen von der Überlastung durch die vielen Reiter und Kriegsknechte verschont bleiben möchten“31.
1581 sagten sich die nördlichen Provinzen von Philipp II. los. Wilhelm von Oranien wurde Statthalter; er wechselte im Verlauf seines Lebens mehrfach die Konfession, eine konfessionell untermauerte politische Bindung der nördlichen Provinzen trat so nicht ein. Doch obwohl Wilhelm von Oranien 1584 ermordet wurde, sank die Aussicht Philipps II. auf militärischen Erfolg, weil Holland und Zeeland 1585 ein Bündnis mit Elisabeth I. von England schlossen. Damit verlagerte sich das Schwergewicht innerhalb der nördlichen Provinzen auf die Provinzen am Meer. Das zeigt auch der Westfälische Friedensschluss von Münster. „Bei den Unterschriften unter dem Friedensvertrag zwischen Spanien und den Niederlanden am 30. Januar 1648 stehen links, den künftigen politischen Verhältnissen entsprechend angeordnet, die der spanischen Vertreter, rechts die der Vertreter der sieben Provinzen. Jede von ihnen hatte einen Vertreter entsandt, Holland jedoch zwei. Die erste Unterschrift leistete Bartold von Gent, der Vertreter Gelderlands, dann die Vertreter Hollands und Zeelands vor den übrigen Provinzen. Bartold von Gent war es auch, der am 15. Mai 1648 in Münster für alle sieben Provinzen den Eid sprach, jedoch sprach er nicht mehr für das geldrische Oberquartier.“32
Der Verlauf des Krieges hatte das Oberquartier von den drei Unterquartieren getrennt. In diesem Friedensschluss erfuhr das Herzogtum Geldern seine erste Teilung. Das Oberquartier wurde Grenzregion, es stieß im Westen nun an die staatsrechtlich selbstständigen Vereinigten Niederlande. Das Oberquartier und damit die Stadt Erkelenz war in der weltlichen und kirchlichen Verwaltung auf Roermond, den Bischofssitz, und die spanischen (katholischen) Niederlande hingeordnet.
Ende des Geldrischen Oberquartiers 1713
Vom Bistum Roermond her erfolgte für Erkelenz ein neuer Impuls, als Bischof Albertus d’Allamont (1609 – 1673) in der Stadt ein Kloster der Franziskaner Recollekten errichtete. D’Allamont war zwischen 1659 bis 1666 der fünfte Bischof von Roermond. Die Franziskaner Recollekten, eine strenge Reformbewegung im Franziskanerorden, breitete sich im 16. Jh. von Spanien aus nach Norden und Westen aus. Damit lag die Gründung des Erkelenzer Klosters, ausgehend vom Bischof des noch jungen Bistums Roermond, ganz auf der konfessionspolitischen Linie des Landesherrschers, da Philipp II. vehement die katholische Kirche gegen den Protestantismus stärkte. Bischof d’Allamont starb 1673 im Madrid, als er dort dem König Bericht über den Zustand der katholischen Provinzen in den Niederlanden erstatten sollte.
Die Franziskanerkirche, 1662 geweiht, wurde im zweiten Weltkrieg zerstört. Das Innere der Kirche zeigte recht deutlich den politischen Standort der Stadt: Im „Chor […] das spanische Wappen mit der Inschrift: Philippus Rex Hispaniae, Wappen des Roermonder Bischofs mit der Inschrift: Antonius Albertus d’Allanont V. Rurémondensis Episcopus 1662. Unter den Fenstern des Schiffes […] die Wappen der Städte des Oberquartiers Geldern, Wachtendonk, Venlo, Roermond, Straelen, Geldern und Erkelenz.“33
Eine angestrebte und erhoffte Stabilisierung des geldrischen Oberquartiers gelang auf Dauer nicht. Die Eroberungskriege Ludwigs XIV. gegen die Niederlande brachten auch für die Stadt Erkelenz das Kriegsgeschehen zurück. Mehrfach rückten französische Soldaten in die Stadt ein. Am 9./10. Mai 1674 kam das Ende der Stadt als geldrische Festung. Obwohl Erkelenz in Maastricht an die Franzosen Kontributionen geleistet hatte, wurde die Stadt von französischen und verbündeten kurköllnischen Truppen angegriffen und erobert. Das Ereignis wird auch in „Die Chronik der Stadt Erkelenz“ von Dr. G. Eckertz sehr plastisch geschildert.
„Am 9. May morgens zwischen 7 und 8 uhren ist die Stadt Erckelentz […] (ohnangesehen wir an die Franzosen binnen Maestricht contribuirt), bloqueert, umb 9 uhren von einem trompetter aufgeheischen, zwischen 9 und 10 uhren an der Bellinghouer porten beschoßen und attaqueert worden.“ Nachmittags habe „einer von dem Magistrat, Gerard Welters gnant, sich mit einem siell die Bellinghouer porzen hinunter gelaßen“34, aber jede Gegenwehr und Verhandlung war vergeblich. Die Truppen sind in die Stadt eingefallen, haben Häuser, Kirche und Kloster geplündert. Die Bürger selbst mussten Breschen in die Mauern schlagen, zwei Stadttore (Oerather und Bellinghover Tor) wurden gesprengt. Da die zudem geforderten 7000 Reichstaler nicht aufgebracht werden konnten, wurden drei Bürger – darunter Gerard Welters – als Gefangene nach Maastricht gebracht und erst sieben Tage nach Eingang der Zahlung freigelassen.
Es ist daher nachvollziehbar, dass die Friedensschlüsse von Nimwegen 1678 und von Rijswijk 1697 in der Stadt freudig aufgenommen wurden. Es wurde daran die Hoffnung auf eine lange Friedenszeit geknüpft. Die Zeiten blieben aber unruhig und von Kriegen geprägt. Während die spanischen Habsburger in die niederländischen Auseinandersetzungen verwickelt waren, mussten sich die österreichischen Habsburger gegen einen großen Landangriff der Türken wehren.
Da die spanischen Habsburger ohne leiblichen Erben starben, erhoben sowohl Frankreich als auch Österreich Anspruch auf das niederländische Erbe.
Im spanischen Erbfolgekrieg wurde Erkelenz 1702 zum ersten Mal von preußischen Truppen besetzt.
Mit dem Frieden von Utrecht am 11. April 1713 endete der spanische Erbfolgekrieg. Der Friedensschluss bedeutete das Ende des geldrischen Oberquartiers. Das Gebiet wurde zwischen Österreich und Preußen aufgeteilt. Der größte Teil des ehemaligen Oberquartiers fiel an Preußen, das damit erstmals ein geschlossenes katholisches Gebiet besaß.
Erkelenz, als kleine geldrische Exklave, fiel an das Herzogtum Jülich. Die Stadt behielt aber – wie im Venloer Vertrag festgeschrieben – geldrisches Landrecht. Nach Jahrhunderten endet für die Stadt Erkelenz mit dem Jahr 1713 endgültig der geldrische Teil ihrer Geschichte.
An die Zugehörigkeit der Stadt zur geldrischen Geschichte erinnert heute noch das Wappen der Stadt Erkelenz, das bereits Baux in der Chronik aufgeführt und beschrieben hat:
Neuregelungen in der Folgezeit
Mit den Napoleonischen Kriegen änderten sich die politischen und kirchenorganisatorischen Verhältnisse für Erkelenz allerdings erneut. Im Frieden von Basel vom 5. April 1795 endete der 1. Koalitionskrieg mit einem Erfolg für Frankreich. Preußen musste das linksrheinische Gebiet an Frankreich abtreten. Nach der dann durchgeführten Verwaltungsreform wurde Erkelenz Kantonsstadt im Arrondissement Crefeld, das dem Département de la Roer zugeordnet war.
Seit dem Vertrag von Lunéville (9. Februar 1801) waren die zunächst besetzten rheinischen Gebiete offiziell dem französischen Staatsgebiet zugeordnet. Dem am 10. September geschlossenen Konkordat zwischen Napoleon und Papst Pius VII. folgte die kirchliche Neuordnung des Gebietes. In gedanklicher Verbindung zu Karl dem Großen errichtete man für die beiden Départements „Roer“ und „Rhine et Moselle“ das Bistum Aachen, diesem Bistum war Erkelenz seit 1801 zugeordnet.
Im Zusammenhang mit den napoleonischen Reformen endete zunächst linksrheinisch – später auch rechtsrheinisch – die Grundherrschaft, für Erkelenz also die grundherrschaftliche Bindung zum Aachener Marienstift.
Der Wiener Kongress (1814/15) brachte für die Stadt eine erneute politische Veränderung. Erkelenz wurde Kreisstadt in der aus dem Niederrhein und Teilen des Mittelrheins neu gebildeten Rheinprovinz.
100 Jahre nach dem Wiener Kongress beim Frieden von Versailles „ist das Gebiet von Obergeldern noch einmal zur Sprache gekommen. Im Vorentwurf nannte man es eher holländischen als deutschen Charakters. Aber man zog daraus keine Schlüsse. Als nach Kriegsende 1945 über Grenzkorrekturen gesprochen wurde, standen Fragen der Grenzbegradigung, aber keine historischen Argumente im Vordergrund.“35,36
- Kümper, Erläuterungen und Kommentar, S. 39
- Baux 58/59
- Vgl. Kümper, Erläuterungen und Kommentar, S. 41
- Baux, S. 162
- ebd.
- vgl. Maeckl, Erkelenzer Stadtrecht, S. 327
- Baux, S. 265
- Kümper, Erläuterungen und Kommentar, S. 129
- Schriftenreihe der Stadt Erkelenz, Bd.1, S. 137-147
- Rheinischer Städteatlas, S. 5
- Flink, Stadtwerdung, S. 9
- vgl. Friedel Krings, HK 1960, S. 57
- vgl. Flink, Stadtwerdung, S. 8
- vgl. Studien zur Geschichte der Stadt, S. 155
- Baux, S. 203
- vgl. dazu Benders, Erkelenzer Münzen, S. 148-153
- vgl. Studien zur Geschichte der Stadt, S. 104
- Baux, S. 220
- vgl. Maeckl, S. 350/351
- Baux, S. 240
- ebd. S. 276
- vgl. Kastner, Urkunden, S. 45, Nr. 16
- s. Baux, S. 277
- Studien zur Geschichte, S. 159
- Geldernlied bei Baux, S. 120 – 122
- Baux, S. 282
- Eroberung Dürens bei Baux, S. 136 – 139
- ebd. S. 140/141
- ebd. S. 172
- Aus: Dokumente zur Geschichte der Stadt Erkelenz, Nr. 15 (als Abschrift erstellt)
- Kastner, Urkunden, S. 89/90, Nr. 175
- K. Micus, RP vom 1. November 1986
- Renard, Kunstdenkmäler, S. 49
- Eckertz, Chronik der Stadt, S. 127
- K. Micus, RP vom 30. Dezember 1986
- Text von Agnes Borgs im Juni 2025 für den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V.
- , Rheinischer Städteatlas Erkelenz. Köln, 1976
- , Erkelenz erhält Stadtrechte. Fragen und Probleme. In: Herborn, W./Krings, W., Studien zur Geschichte der Stadt Erkelenz vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit, Seite 37 . 47, Bonn, 1976
- , Stadtwerdung und Wirtschaftskräfte in Erkelenz. ISBN: 379270286X, 1976
- , Katalog der Ausstellung Dokumente der Geschichte der Stadt Erkelenz, anlässlich der 650-Jahrfeier der Stadt Erkelenz. Erkelenz, 1976
- , Atlas zur Geschichte des Niederrheins. Schriftenreihe der Akademie des Niederrheins, Bottrop/Essen, 1999
- , Studien zur Geschichte der Stadt Erkelenz vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Bonn, 1976
- , Die Urkunden des Stadtarchivs Erkelenz: Regesten. Brauweiler, 2001
- , Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Faksimile - Transkription - Übersetzung, Band 1. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
- , Mathias Baux: Chronik der Stadt Erkelenz und des Landes von Geldern. Erläuterungen - Kommentare, Band 2. Neustadt an der Aisch, ISBN: 978-3-9815182-9-0, 2016
- , Heimatkalender des Kreises Heinsberg. Heinsberg, 2022. Darin: Benders, Jos: Die Erkelenzer Münzen in ihrem historischen Kontext (1371- ca. 1383), Seite 148 - 153
- , Heimatkalender der Erkelenzer Lande. Erkelenz, 1960. Darin: Krings, Friedel: Zur geldrischen Geschichte der Stadt Erkelenz, Seite 51 - 58
- , Das Stadtrecht von Erkelenz. Bijdragen en Mededelingen Gelre, Band 8, Gelre, 1905
- , Schriftenreihe des Kreises Heinsberg. Heinsberg, Band 2, 1980. Darin: Meurer, Peter, Historische Abbildungen von Erkelenz
- , Rheinische Post. Düsseldorf, Serie vom 29. 09. bis 30. 12. 1986. Micus, Käthe: Zur Geschichte der geldrischen Stadt Erkelenz
- , Kunstdenkmäler der Kreise Erkelenz, Geilenkirchen und Heinsberg. Düsseldorf, ISBN: 3-590-32112-1, 1904
- , XIV. boeken van de Geldersse geschiedenissen. Arnheim, 1654
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